Eine Hommage an starke Frauen – Verena Rabe im Interview

»Mein Roman ist unter anderem eine Hommage an die starken Frauen meiner Familie.« 

Ein Gespräch mit unserer Autorin Verena Rabe über unkonventionelle Frauen und ihre individuellen Kämpfe, die sie in den 50er Jahren auszutragen hatten, das bunt tobende Leben in Berlin sowie ihren Roman UND AM ENDE DIE FREIHEIT.  

Was hat Sie zu Ihrem Roman UND AM ENDE DIE FREIHEIT inspiriert? Hat das Buch auch eine persönliche Bedeutung für Sie? 

Verena Rabe: »Als ich beschloss, über eine Jurastudentin in den 20er Jahren in Berlin zu schreiben, war meine Tochter gerade mitten in ihren Prüfungsvorbereitungen zum 1. Juristischen Staatsexamen in Berlin. Sie hat mich mit ihrem Durchhaltevermögen und ihrem Ehrgeiz inspiriert, und ebenso die Tatsache, dass ihre Urgroßmutter in den 20er Jahren teilweise in derselben Bibliothek für ihre Examen in Mathematik und Physik lernte wie sie. Das findet sich also ganz entscheidend in meiner Protagonistin Helene wieder. Einige Frauen meiner Familie studierten in den 50er Jahren und arbeiteten auch in ihrem Beruf. Mein neuer Roman ist unter anderem eine Hommage an die starken Frauen meiner Familie.« 

Hat Ihre Recherche für den Roman Ihren Blick auf die Herausforderungen, denen sich Frauen in den 30ern und 50ern stellen mussten, nochmal verändert? 

Verena Rabe: »Als ich im Grimm, einer Universitätsbibliothek in Berlin, über die Studienbedingungen für Frauen in den 20ern recherchierte, entdeckte ich in einem nahegelegenen Laden den Schmetterlingsanhänger, der in meinem Roman eine entscheidende Rolle spielt. Ich wusste, dass so einer auch Helene gehört hat, und ab da war mir klar, dass ich den Roman schreiben muss. Dass den Frauen der Weg in die Emanzipation, den sie schon in den 20er Jahren eingeschlagen hatten, in den 30er und 40er Jahren während des Nazi-Regimes wieder versperrt wurde, wusste ich schon, aber wie sehr sie eigentlich dadurch und durch das spätere konservative Nachkriegsdeutschland daran gehindert wurden, selbständig zu leben, war mir in seiner Härte neu.« 

Aber Freiheit hat viele Schattierungen: Ich dachte zum Beispiel auch, dass Frauen meiner Generation verhältnismäßig frei waren, fühlte mich aber dann doch selbst manchmal mit alten Vorurteilen konfrontiert, wie eine Mutter zu sein hat: Weil ich es wagte, mit meinem ersten Roman zu beginnen, als meine Tochter drei Monate alt war. Sie ist heute Juristin, war und ist sehr stolz darauf, dass ich Schriftstellerin bin. Und mein Sohn, der Kindheitspädagoge, übrigens auch.« 

Was macht UND AM ENDE DIE FREIHEIT zum perfekten Titel für Ihren Roman? 

Verena Rabe: »Anfang der 30er Jahre wird Julius wie auch Helene am Ende ihres Studiums die Freiheit genommen, das zu werden und so zu leben, wie sie wollen. Durch Julius’ Familie konnte ich auch verdeutlichen, was 1933 mit den jüdischen Juristen geschah und wie die Demokratie am Anfang durch das Ermächtigungsgesetz ausgehebelt wurde. Aber am Ende können sich Helene und Julius in meinem Roman die Freiheit wieder zurückerobern.« 

Wie würden Sie die besondere Dynamik zwischen Helene und ihren Freunden beschreiben? Sowohl der bunten Truppe in Berlin als auch ihrer Hamburger Freundin Ella, die mit dem Schreiben von Heftromanen ihr eigenes Geld verdient?  

Verena Rabe: »Ella finde ich großartig und es hat mir sehr viel Spaß gebracht, sie kennenzulernen und über sie schreiben zu können. Meine Figuren entwickeln sich irgendwann während des Schreibens wie von selbst und ich staune manchmal, was sie so tun und denken. Ich glaube, ich wäre sehr gerne so wie Ella in den 50er Jahren gewesen. Sie hilft Helene, aus ihrer konventionellen Denke herauszukommen und ist ihr auch in der Not eine verlässliche Freundin. Helenes Freundin Luise, die in den 20er Jahren in Berlin Angewandte Mathematik studiert, habe ich hingegen als Hommage an meine Großmutter kreiert. Und Paula wiederum liebe ich wegen ihrer unkonventionellen Art: Ich habe zwischen zwei Romanen mit der Steinbildhauerei als Hobby begonnen und hatte daher sehr viel Freude daran, Paulas Atelier in Berlin und ihre Arbeit zu beschreiben.« 

Wie kann die Liebe zwischen Helene und Julius all die Jahrzehnte und so viele Stürme überdauern? 

Verena Rabe: »Ihr Geheimnis ist, dass sie sich erst als Freunde kennenlernten, Seite an Seite studierten und damit über die Jahre Vertrauen und Nähe gewachsen sind. So nehmen sie ihre Masken ab, erkennen sich, wie sie sind, und verlieben sich erst darüber ineinander. Als sie sich viel zu schnell durch die Umstände wieder trennen müssen, bleibt die Möglichkeit, gemeinsam ein unabhängiges Leben zu führen, wie ein über die Jahrzehnte nicht eingelöstes Versprechen.  Julius und Helene beginnen beide ein neues Leben, von dem sie längere Zeit glauben, dass es sie auch glücklich macht, in dem sie aber letztendlich scheitern. Als sie sich in den 50er Jahren wiedertreffen, wissen sie schnell, dass sie zueinander gehören und das Versprechen von damals endlich einlösen können.« 

Ihr Roman spielt zu gleichen Teilen in Berlin und Hamburg: Was zieht sie zu diesen beiden Städten hin? 

Verena Rabe: »Ich bin in Hamburg geboren und aufgewachsen und kenne aus meiner Kindheit und Jugend Helenes Milieu, diese auf ihre Art konventionelle Lebensart nach engen Regeln in den Villenvierteln, sei es Eppendorf oder Winterhude oder wie in meinem Fall die Elbvororte. Ich selbst habe den Blickwinkel gewechselt und lebe schon seit Ewigkeiten nicht mehr in diesem Umfeld, sondern im freieren Langenhorn im Hamburger Norden. Berlin dagegen bedeutet für mich das pure, geballte Leben in allen seinen schrillen, bunten, anstrengenden Facetten. Ein Teil meiner Familie kommt aus Berlin und die Liebe zu dieser großartigen, so lebendigen Stadt begleitet mich schon mein ganzes Leben.« 

Was war Ihnen beim Schreiben von Helenes Figur wichtig? Gibt es etwas, wozu Sie mit ihr ermutigen wollen?  

Verena Rabe: »Nutze deinen Kopf und deine Intelligenz, folge deinen Träumen und nicht blind den moralischen Vorgaben der Kirche, Familie und Gesellschaft deiner Zeit. Finde deinen eigenen Weg und lass dich nicht durch eine von Männern geprägte Welt einschüchtern. Sei ehrlich zu dir selbst und authentisch. Es ist niemals zu spät, sein Leben zu ändern. Kämpfe für deine Ziele.« 

Das Gespräch führte Ronja Beck aus dem dotbooks-Lektorat. 

Mehr zu Verena Rabe

Verena Rabe, geboren und aufgewachsen in Hamburg, liebt es zu reisen. Besonders die europäische Küsten haben es der Seglerin angetan. Für ihre Geschichten unternimmt sie lange Recherchereisen und lässt die Orte, die sie beschreibt, intensiv auf sich wirken. Sie studierte Geschichte und arbeitete als Journalistin, bevor sie Schriftstellerin wurde. Seitdem hat sie bereits acht Romane veröffentlich! Verena Rabe lebt mit ihrem Mann in Hamburg, hat zwei erwachsene Kinder. In ihrer zweiten Heimat Berlin, verbringt sie ebenfalls viel Zeit.

UND AM ENDE DIE FREIHEIT von Verena Rabe jetzt reinlesen und hören.

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